01.05.2010

Stellungnahme zur Auflösung der Pariser Gruppen ATKS, Supras & Grinta

von Coloniacs in Nachrichten

SUPRAS/ATKS/GRINTA POUR TOUJOURS
Auch zum kommenden Heimspiel gegen Freiburg wird es wieder einige Solidaritätsbekundungen bei uns geben. In den letzten Wochen schwebte ein Damoklesschwert über unseren Freunden, denn das französische Innenministerium drohte, die Gruppen zu verbieten. Richteten sich unsere Aktionen bisher noch daran aus, unseren Brüdern und Schwestern in ihrem Existenzkampf Mut zuzusprechen und alles dafür zu tun, um eine solch fatale Entscheidung wie ein Verbot abzuwenden, so hat sich das Blatt am 29.04.2010 gewendet, als das Innenministerium die Gruppen offiziell verboten und somit auch ein Riesenloch in unsere Herzen gerissen hat.

All das warf einige Fragen auf, auf die wir nun näher eingehen wollen: Was geht aktuell in Paris vor sich? Seit 1991 gibt es im Parc des Princes, der Heimat von Paris Saint-Germain zwei Kurven: Die Virage Auteuil (VA) und den Kop of Boulogne (KOB). Seit 2003 bestehen freundschaftliche Beziehungen zwischen der Südkurve Köln und der Virage Auteuil und damit über die Zeit auch zu den Gruppen Supras Auteuil, Authentiks (Tribune G direkt neben der VA), WH und CNS. Seit jeher besteht ein schlechtes Verhältnis zwischen den beiden Pariser Kurven. Der KOB ist eher die traditionell französische Kurve, die auch die Pariser Hooligans beherbergt und politisch stark rechts orientiert ist. »Unsere« Kurve dagegen ist durch einen multikulturellen Mix und einen vorurteilsfreien Schnitt durch die komplette französische Gesellschaft geprägt. Beispielsweise auf dem KOB unvorstellbar und bei unseren Brüdern völlige Normalität: dunkelhäutige Vorsänger.

Zu einem traurigen Höhepunkt des Konflikts kam es in dieser Saison vor dem Derby PSG gegen Olympique Marseille (OM). Beim Hinspiel war es in Marseille zu schweren Zusammenstößen zwischen den Parisern und den Bewohnern Marseilles gekommen (siehe Kallendresser #02). Die Situation vor dem Rückspiel in Paris war daher von Beginn an sehr angespannt. Es sollte allerdings alles anders kommen, denn OM boykottierte das Spiel nahezu komplett und der Gästeblock blieb geschlossen. Die OM-Gruppen protestierten gegen eine überwachte Anreise. Auf Pariser Seite befanden sich VA und Tribune G schon vorher im Streik gegen »Colony Capital«, eine Kapitalgesellschaft, der die Mitschuld am Niedergang des PSG gegeben wird. Zwar sollte zumindest der akustische Boykott für das Derby ausgesetzt werden, doch durch das Fernbleiben der Gäste wurde auch dieser durchgezogen. Der KOB hingegen war beflaggt und es gab organisierten Tifo. Auch einige Mitglieder der Coloniacs waren an diesem Tag in Paris zugegen. Schon mittags trafen sich die mit uns befreundeten Gruppen in der Stadt und zogen per Metro in Richtung Stadion. Dort angekommen kam es zu ersten Auseinandersetzungen mit der Polizei, bis »der KOB« plötzlich einen Angriff auf die Virage Auteuil startete. Auf dem Weg von ihren Kneipen zum Stadion schlugen die ca. 150 Hools wahllos Schwarze und Araber und sangen rassistische Lieder. Am Stadion angekommen attackierten sie den Eingang zur VA. Unter Schock zogen sich die dort noch teilweise vor dem Stadion stehenden Ultras erstmal zurück, um sich nach einigen Minuten und harten Kämpfen in der ersten Reihe als große Masse gegen den Angriff zur Wehr zu setzen. Dabei wurden die Hools die Straße an der Tribune G hinuntergejagt. Ein Angreifer, Mitglied der Casual Firm Paris (KOB), wurde dabei schwer verletzt. Yann erlag einige Tage später seinen inneren Verletzungen.

Ein trauriger Tiefpunkt der französischen Fankultur, der so hätte niemals passieren dürfen! Dieser Abend führte uns schrecklicherweise vor Augen, welch dramatische Folgen unbedacht angewandte Gewalt haben kann. In diesem Fall wurde sie zwar zur Verteidigung gegen den Angriff eines rassistisch motivierten Schlägertrupps ausgeübt, doch die Konsequenzen sind absolut bedauernswert und sollten allen Beteiligten mehr als zu denken geben.

Dem Kurvenflyer der Ultras des FC Bayern, der Schickeria München, haben wir folgenden – sehr treffenden – Kommentar entnommen: »Eine Tragödie, die allerdings aufgrund von schwerwiegenden Problemen in der französischen Gesellschaft entstand und zwar den Fußball als Bühne fand, aber doch auch in einem ganz anderen Kontext geschehen hätte können. Der Fußball ist für den Tod nicht ursächlich, im Gegenteil: die Gesellschaft mit ihrer sozialen Schieflage und rassistischen Ausgrenzung, deren Produkt Yann war, ist es und benutzt den Fußball als Sündenbock, um von den wirklichen Problemen abzulenken. Noch weniger sind es die Gruppen der VA, die sich gegen einen rassistisch motivierten Angriff verteidigten. Jetzt sollen aber die Gruppen der Auteuil und die Ultras allgemein büßen.«

Nach diesen Vorkommnissen wurden nun unglaublicherweise sieben Ultrasgruppen vom französischen Innenministerium verboten. Dabei handelt es sich um unsere Freunde Supras Auteuil, Authentiks und Grinta, sowie zwei KOB-Gruppen von Paris Saint-Germain. Darüber hinaus wurden noch die Brigade Sud vom OGC Nice und Cosa Nostra von Olympique Lyon aufgelöst. Bereits vor zwei Jahren wurde die Pariser Gruppe Bolougne Boys wegen des Zeigens eines beleidigenden Spruchbands und die Faction Metz wegen Ausschreitungen vom Innenministerium aufgelöst. Da die französischen Gruppen nahezu alle offiziell operierende Organisationen (ähnlich unserem Vereinsrecht) sind, sind sie leichter greifbar Ein Verbot kommt dem Ende der Gruppen gleich. Das öffentliche Zurschaustellen deren Logos und Namen steht unter Strafe, und die dort vertretenen Personen dürfen keine neuen Gruppen in ähnlicher Konstellation bilden. Die gesetzliche Grundlage des Verbots richtet sich gegen kriminelle & terroristische Vereinigungen und ist rechtlich daher kein Kinderspiel mehr. Für unsere Freunde kann ein Nichteinhalten gravierende persönliche Konsequenzen nach sich ziehen (eine genauere Beschreibung der rechtlichen Komponente findet Ihr im kommenden Kallendresser #03).

Es ist völlig klar, dass in Paris mit dem Tod eines Menschen extreme Grenzen überschritten wurden und dies nicht ignoriert und auch nicht toleriert werden darf. Die Frage hierbei ist nur die der adäquaten Reaktion. Vereinsführung und Staat stellen sich einseitig auf die Seite der Angreifer und ignorieren die rassistischen Hintergründe, die einen der Hauptgründe des Konflikts darstellen. Außerdem stellt sich die Frage, wie 150 Hooligans an einem Derbytag einfach bis vor die Kurve kommen konnten und wieso die Polizei während der Auseinandersetzungen nicht wirklich eingegriffen hat? Es waren 2.500 Polizisten im Einsatz, von denen eine Vielzahl nur einige Meter von den Vorkommnissen entfernt stand. Der Präsident des PSG ging sogar so weit zu behaupten, dass unsere Freunde die Rassisten seien und ein »anti-weißes Klima« schaffen würden. Welch ein Schlag ins Gesicht auch für uns, die vor Ort waren und erst eine unglaubliche Gastfreundschaft unserer Freunde genießen durften, um dann von den Rassisten des KOB angegriffen zu werden. Nun wurde durch das Verbot der Gruppen eine Kollektivstrafe nach dem Prinzip der Sippenhaft ausgesprochen, die das Problem absolut nicht lösen, sondern nur noch verschlimmern wird. Die Gruppen haben einen großen Einfluss auf ihre Mitglieder und ihr Umfeld und versuchten immer wieder, den Konflikt zu entschärfen. Sie haben ja auch einiges zu verlieren. Durch das Verbot werden nun all ihre Mitglieder unabhängig und unerreichbar und damit wohl auch der Konflikt unkontrollierbar. Dies kann und darf nie und nimmer das Ziel fan- und noch wichtiger gesellschaftspolitischer Arbeit sein. Eine erschreckende Vorstellung. Was denkt sich das französische Innenministerium nur dabei?

Am Donnerstag, dem 23.04., gaben SA und ATKS eine Pressekonferenz, auf der sie ihre Sichtweise der Ereignisse des Abends darstellten und allen anwesenden Journalisten einen USB-Stick aushändigten, auf dem ein Video des Abends gespeichert ist. Dieses Video dokumentiert eindeutig den Angriff des KOB auf unsere Freunde und enthüllt einige bisher von der Öffentlichkeit nicht beachtete Wahrheiten. Doch leider hat auch dieses letzte Aufbäumen nichts mehr ändern können.

Welch eine katastrophale Fehlentscheidung von Politikern, die wahrscheinlich noch nie ein Stadion von innen gesehen haben. Sie sitzen an einem Tisch und löschen im Handumdrehen jahrzehntelang bestehende Gruppen aus, die immer mit voller Hingabe hinter ihrem Verein gestanden haben. Sicher dabei ist, dass sich zwar Organisationen, aber nie die Leidenschaft und Mentalität der Menschen verbieten lässt. Anstatt sich mit der Sache und den Ursachen der Gewalteskalation zu befassen und wirkliche Änderungen anzustreben, verbietet der französische Staat ganze Gruppen mit jeweils hunderten von Mitgliedern und macht damit alles nur noch schlimmer. Diese Sesselfurzer werden unsere Brüder uns Schwestern jedoch nicht aufhalten! Niemals! Ultras wird es immer geben!

Wir stehen zu 100% hinter unseren Freunden und werden alles Nötige tun, um ihnen in diesen schweren Zeiten den Rücken zu stärken!

Never surrender – we will always be by your side!
ATKS, Supras, Grinta – pour toujours!