Fastelovend zesamme!
Als Ultras bekommen wir die drastischen Folgen der Kommerzialisierung im Fußball an jedem Wochenende – und der Werbeindustrie sei Dank, auch an den Tagen dazwischen – hautnah zu spüren. Zur fünften Jahreszeit haben wir hier in Köln, als kölsche Ultras mit wirtschaftlichen Ausprägungen dieser Art nicht nur rund ums Stadion zu kämpfen, sondern auch im Fastelovend (Karneval) begegnet er uns an jeder Ecke. Mit dem heutigenWieverfastelovend (Weiberfastnacht, Donnerstag vor Rosenmontag) wird hier in Köln der Straßenkarneval eingeläutet. Es ist der Startschuss für sechs Tage, die ganz im Zeichen des kölschen Brauchtums stehen und unsere geliebte Heimatstadt auf den Kopf stellen.
Wir sind damit aufgewachsen und so gehört der Fastelovend zu uns und unserer Art, wie die Luft zum Atmen. Umso schmerzlicher ist es zu sehen, wie der Karneval als Kulturgut unserer Stadt in den letzten Jahren immer mehr zu einem Schauplatz für niveauloses Betrinken und unnötige Gewalt zu verkommen droht. Der eigentliche Kontext unserer Tradition scheint verloren zu gehen. Die Wurzeln unseres Brauchtums liegen keineswegs im besinnungslosen Suff. Bereits seit Jahrhunderten war der Karneval in Kölnimmer schon eine politische Angelegenheit und bot den Bürgern der Stadt Raum eine für kreative Demonstrationsplattform gegen die Obrigkeiten. Ein gutes Beispiel für diese Form des Protest stellt gerade auch Weiberfastnacht dar: Frauen übernehmen die Macht, stürmen die Rathäuser und schneiden den Herren die Krawatten ab.
Heute findet man den kritischen, sarkastischen und spitzfindigen Protest, wie er Tradition hat, beispielsweise auch noch in Büttenreden auf Prunksitzungen und auf kleineren Begleitwagen im Rosenmontagszug. Hinzu kommt, dass der Zugang zu diesem kritischen Karneval für den einfachen Jeck immer schwieriger wird: Die Plätze in der ersten Reihe mit Blick auf die Stadtoberen und deren Schergen bei der traditionellen Eröffnung des Straßenkarnevals auf dem Heumarkt sind reserviert für VIPs und Presse, die Preisschraube für Eintrittskarten für Sitzungen wird immer weiter angezogen und Großveranstaltungen, die jeglichen Anschein von Traditionsbewusstsein verloren haben, schließen seit Jahren wie Pilze aus dem Boden. Statt kölschem Kulturgut übernimmt der Ballermann-Stumpfsinn das Ruder.
Wir sehen unser Brauchtum, auf das wir stolz sind und welches wir im Herzen tragen, bedroht durch den Kommerz und belanglose Oberflächlichkeiten, fast so wie unsere Leidenschaft, den Fußball. Aber es lohnt sich, wie in vielen Bereichen unserer Gesellschaft auch bei unserem Fastelovend ein zweites Mal hinzuschauen oder den Jeck seines Vertrauens um den ein oder anderen Tipp zu bitten. Denn dann schärft sich der Blick für Alternativen und Karneval in seiner ursprünglichen Form, eben den Fastelovend, den wir lieben und leben: in Kneipen in unseren Veedeln (Vierteln), in alternativen Sitzungen wie derStunksitzung, die für ihre Kritikfreudigkeit an politischem Geschehen bekannt ist, oder auch im Geisterzug, der traditionell am Samstagabend mehr einer Demonstration als einem Umzug gleicht und sich an karnevalesken Elementen bedient um auf hiesige Missstände hinzuweisen.
Unseren Fastelovend sehen wir als ein elementares Kulturgut unserer Stadt, welches es zu schützen und zu bewahren gilt. Auch hier sagen wir dem Stumpfsinn dem Kampf an! Darauf zum Abschluss ein dreifaches »Kölle Alaaf«! Mir wünsche Üch ene schöne Fastelovend! Bliev jeck, bliev Ultrà!