Coloniacs im Interview
Den Ultras des MSV Duisburg, der Kohorte, haben wir für die letzte Ausgabe ihres Fanzines »Safari« ein ausführliches Interview gegeben. An dieser Stelle möchten wir den Inhalt des Interviews dokumentieren.
Interview mit Coloniacs – Ultrà 1. FC Köln
Fanpolitisch bleibt aus der letzten Spielzeit wohl hauptsächlich eins hängen: die zunehmende Härte mit denen das DFB-Sportgericht im Kollektiv gegen ganze Fanszenen bei Vergehen einzelner vorging. Da wurden in der Rückrunde gleich mehrmals ganze Fankurven wie in Berlin oder Bochum gesperrt oder den Fans die Unterstützung ihrer Mannschaft bei Auswärtsspielen untersagt, in Dresden, Rostock und Köln war dies der Fall.
Mit der Kölner Ultragruppe Coloniacs steht uns eine der unmittelbaren betroffenen Fanszenen im Interview Rede und Antwort, dabei berichten sie nicht nur wie es sich anfühlt auf einmal im Kollektiv ausgesperrt zu sein sondern auch wie man es trotzdem koordiniert bekommt auch bei diesem Spiel seine Mannschaft lautstark zu unterstützen. Auch zuvor gab es schon reichlich Sanktionen gegen die Kölner Fanszene, wie diese damit umgegangen ist und heute für eine der aktivsten und kreativsten Kurven im Land steht wenn es um Antirepressionsarbeit geht, erzählen sie uns ebenfalls im Interview:
Hallo Coloniacs, bevor wir zu dieser ganzen Repressionsscheiße kommen, wäre es für unsere Leser sicherlich interessant, wenn Ihr vielleicht kurz Eure Gruppe vorstellen würdet und erklärt, welche Rolle sie innerhalb der Kölner Fanszene einnimmt! Mit der Wilden Horde und den Boyz Köln gibt es noch 2 weitere große Ultragruppen in Eurer Kurve, wie funktioniert die Zusammenarbeit, spricht man nach außen hin mit einer Stimme oder setzt jede Gruppe eigene Schwerpunkte und teilt man sich so die Arbeit untereinander sogar etwas auf?
Unsere Gruppe ist, zumindest was das Gründungsdatum angeht, noch relativ jung. In dieser kurzen Zeit haben wir uns jedoch bereits eine gewisse »Stellung« innerhalb der Fanszene erarbeitet. Diese wollen wir gar nicht näher definieren, da es uns nicht auf eine Position innerhalb der Kurvenhierarchie ankommt, sondern auf eine gute Zusammenarbeit mit der kompletten Fanszene zum Wohle unserer Kurve. Die Entwicklung unserer Gruppe konnte so rasant von Statten gehen, da wir einige in der Szene sehr bekannte und erfahrene Leute in unseren Reihen haben, deren jahrelange Erfahrung wir schnell und produktiv umsetzen konnten und diese auch auf neue Leute übertragen haben. Die meisten unserer Mitglieder bewegen sich schon seit Jahren in der Welt, oder zumindest dem Umfeld der Ultras und so waren alle von Anfang an motiviert, nach vorne zu gehen. Wir sehen es als großen Pluspunkt an, dass wir auch ein paar Leute an uns binden konnten, die vorher noch keinen richtigen Zugang zur Ultrà-Szene gefunden haben. Zwar war der Startschuss zu unserer Gruppengründung für uns eine sehr traurige Geschichte, doch dieses Thema ist mittlerweile abgehakt und wir konzentrieren uns auf die Zukunft. Irgendwann muss man die Vergangenheit einfach hinter sich lassen und nach vorne schauen. Wir versuchen innerhalb der Szene – nach unserem Verständnis – positive Akzente zu setzen und einen etwas anderen Weg zu gehen, als dies momentan in Deutschland üblich zu sein scheint. Wir versuchen, unser Handeln immer selbst zu reflektieren und führen viele Diskussionen über uns und unser Umfeld. Unser Weg ist relativ klar: Wir wollen Ultrà zurück auf die Ränge holen und zeigen, dass es sich um eine ernstzunehmende und reife Subkultur handelt und es nicht bloß um stupide Stereotype geht. Ultrà ist für uns weit mehr, als nur eine bloße Abwechslung am Wochenende, um dem Alltagsstress zu entfliehen und dann endlich mal den inneren Schweinehund auch nach außen zu kehren. Fußballfans haben generell einen eher schlechten Ruf und wenn ich mich am Wochenende so in deutschen Stadien umschaue und die Geschehnisse auf den Fahrten höre, dann ist das wohl teilweise auch nicht grundlos so. Für uns ist es wichtig, eine stolze Gruppe zu sein, die für sich Respekt fordert, aber auch respektvoll mit Anderen umgeht. Wir handeln nach dem Grundsatz »Wie Du mir – so ich Dir«. Wir lehnen Diskriminierung in all ihren Formen ab und positionieren uns klar gegen Rassismus im und um das Stadion. Wir sehen uns als Ultras und damit als politische Menschen. Unsere Anliegen lassen sich nur durch politisches Handeln verwirklichen und sind dementsprechend motiviert. Es liegt uns jedoch fern, uns in irgendwelche politischen Kategorien stecken zu lassen. Unsere Gruppe ist weder links noch rechts. Wir sind freiheitsliebende Ultras. Nicht mehr aber eben auch nicht weniger. Wir versuchen, andere Menschen stets so zu behandeln, wie wir auch behandelt werden wollen. Daher wollen wir unsere Gruppe und die Kultur der Ultras überall würdig vertreten und nicht als saufende und pöbelnde Asis aufzutreten. Auch wir wollen unseren Spaß haben, aber versuchen dabei immer, ein gewisses Niveau nicht zu unterschreiten. Gewaltexzesse nur um der Gewalt willen liegen uns vollkommen fern. Wir wissen uns zwar klar zu verteidigen und unseren Forderungen auch Nachdruck zu verleihen, aber distanzieren uns klar und deutlich von Sachbeschädigung, Übergriffen auf Unbeteiligte und dem ganzen sinnlosen Gepose, welches heute teilweise abgefeiert wird. Wir versuchen, unseren eigenen Weg zu finden und lassen uns nicht in dieser Einstellung beirren. Wir sind nicht auf Zuspruch von Außen angewiesen und ruhen lieber in unserem Inneren, um daraus dann Aktionen zum Erhalt unserer Fankultur zu starten. Wir wollen mit unserem Weg eine Möglichkeit aufzeigen, der dem aktuellen Mainstream vieler Ultras widerspricht und eine positivere Grundhaltung vielen Dingen gegenüber voraussetzt. Mit Freude stellen wir fest, dass aktuell überall die ersten Diskussionen rund um das Thema »Gewalt« ausbrechen und es hier vielleicht bald zu einem flächendeckenderen Umdenken kommen könnte. Eine gewisse Intellektualität ist uns ebenso wichtig, wie präzise Handarbeit beim Erstellen von Gruppenwerken und so wählen wir Mitglieder für unsere Gruppe sorgfältig aus, damit wir auch zueinander passen. Dafür sind dann selbstverständlich die inneren Werte ausschlaggebend. Wir sind immer offen für den Kontakt mit neuen Leuten, aber niemand kann sofort Mitglied bei uns werden. So schützen wir mögliche Neumitglieder und auch uns vor Fehlentscheidungen, denn Ultrà ist kein bloßes Hobby …
Das Verhältnis zur WH und zu den Boyz ist OK. Wir arbeiten alle drei konstruktiv zusammen und treffen uns regelmäßig, um uns untereinander abzustimmen. Dazu sind wir auch alle noch mit den anderen aktiven Fanclubs über den Dachverband vernetzt und versuchen dort, mit einer Stimme für Köln und unsere gemeinsame Szene zu sprechen. Die einzelnen Gruppen arbeiten teils zusammen, aber versuchen auch eigene Schwerpunkte und Akzente zu setzen. In unseren Ausrichtungen unterscheiden wir uns teilweise ziemlich klar, was durchaus positiv ist. Die Szene ist so halbwegs ausdifferenziert und jeder Mensch aus der Kurve kann die für sich passende Gruppe finden. Wir finden dieses Modell sehr attraktiv, da es noch mehr Leute in die Ultrà-Szene holt, als eine einzelne Gruppe, an der man immer etwas zu bemängeln haben kann. So teilen wir die Aufgabenfelder, teilweise auch unbewusst, untereinander auf und setzen Themenschwerpunkte ziemlich unterschiedlich. Dadurch deckt die Südkurve ein sehr breites Spektrum an Meinungen ab. War das Verhältnis untereinander anfangs teils doch stark vorbelastet, so hoffen wir, dass sich dies ab der kommenden Spielzeit endgültig normalisiert und wir enger zusammenarbeiten können, um das Optimum für die Kurve erreichen zu können. Bei allen Unterscheidungen gibt es in den Zielen, zumindest unserer Ansicht nach, doch riesige Überschneidungen, die es zu nutzen gilt.
Nun ist es müßig einen Anfang in der ganzen Verbots- und Einschränkungsgeschichte zu finden. Für überregionale Aufmerksamkeit was Sanktionen gegen Fans betrifft, sorgte der FC Köln zum ersten Mal in der Saison 05/06, nach dem bei Eurem Gastspiel in Hamburg ein Trommelstock auf das Spielfeld geflogen war. Eine Zeit, in der vor der WM 2006 die Schraube gegen aktive Fans sowieso stark angezogen wurde und auch die Medien nutzten diesen Vorfall natürlich, um von der »großen Randale« zu berichten. Könntet Ihr kurz zusammenfassen, welche Schritte von Vereinsseite damals angekündigt wurden und welche Ihr verhindern konntet? Bestehen die eingeführten Sanktionen bis heute oder wurden sie mit der Zeit wieder aufgehoben?
Geplant war damals, Auswärtskarten nur noch personalisiert zu verkaufen, was per se schon abzulehnen ist. Darüber hinaus, plante der 1. FC Köln jedoch, den Kartenverkauf über die Fanclubs mit einer persönlichen Haftung der Fanclubvorsitzenden (als Kartenbesteller) zu verknüpfen. Auf Deutsch: Du bestellst eine Anzahl Karten für deinen Fanclub, gibst die an deine Mitglieder oder ggf. andere Fans weiter, sollst aber dann mit deinem persönlichen Vermögen haften, sobald einer dieser Kartenempfänger Mist baut oder »Schaden« anrichtet und aufgrund der personalisierten Karte zugeordnet wird. Ein Ding der Unmöglichkeit und juristisch auch reichlich fragwürdig! Rund 120 Fanclubs schlossen sich damals der Initiative gegen diese Sanktionen an, aus der schließlich der Dachverband der aktiven Fanclubs des 1. FC Köln hervorging. Die Privathaftung konnten wir zum Glück verhindern, die Personalisierung der Auswärtskarten jedoch nicht. Dies wird heute so gehandhabt, dass die jeweilige Kundennummer auf dem Ticket vermerkt wird, vor Ort gibt es aber keine weiteren Kontrollen und so führen viele Wege in den Gästeblock…
Wie kam es, dass der Werfer sich damals selbst dem FC gestellt hat? Druck aus der Fanszene, der eigenen Gruppe, der eigenen Freunde?
Der Vorfall hat damals für riesiges Aufsehen gesorgt und der Fanszene eine Menge Ärger eingebrockt. Um die Sanktionen abzuschwächen und das persönliche Risiko der Person zu minimieren, haben damals alle Seiten versucht, auf die Person einzuwirken, dass es letztendlich zu einer Selbststellung kam. Der Volkspark ist komplett Videoüberwacht und die Position der Trommeln war nicht so schwer zu erkennen. Es war damals mehr als wahrscheinlich, dass die Person auch so identifiziert werden würde und so wollte man die möglichen Sanktionen schon im Vorfeld abschwächen. Im Nachhinein gab es eine große Welle der Solidarität, um der Person persönlich zur Seite zu stehen und irgendwie die im raumstehenden Geldstrafen auftreiben zu können. Ob die Entscheidungen damals alle richtig getroffen wurden, lässt sich heute nur noch schwer sagen und steht uns als Gruppe – die zu dieser Zeit noch nicht existiert hat – auch nicht zu. Daher möchten wir auch nicht noch näher auf diesen Fall und die persönlichen Umstände eingehen.
Auch in der jetzt abgelaufenen Saison 2009/10 kam es von Seiten des DFB immer wieder zu Ermahnungen und kleineren Geldstrafen wegen Fanvergehen. Welche Situationen in Eurer Fankurve gefielen dem DFB nicht?
Was den Bürokratenwichsern natürlich nie gefällt, ist die Verwendung von Pyrotechnik jeglicher Art. Schon das vollkommen kontrollierte Abbrennen von zwei Fackeln löst am nächsten Tag beinahe den 3. Weltkrieg aus. Auch wir distanzieren uns ganz klar und deutlich von dem Einsatz von Böllern, dem Werfen von Fackeln und dem Abschuss von Leuchtraketen in Menschenmengen. Dies ist vollkommen unverantwortlich und kann auch szeneintern nicht toleriert werden. Das bedachte Fackeln als optisches Stilmittel der Kurve unterstützen wir hingegen vollkommen und lassen uns dies auch durch keinerlei Strafandrohungen verbieten. Solange kein geeigneter Kompromiss zwischen allen Beteiligten gefunden wird, wird auch weiter gezündet werden. Da kann Herr Zwanziger noch so oft auf den Tod von Robert Enke hinweisen. Wir fordern realistische Verhandlungen über mögliche Szenarien zu einem legalen Einsatz von Pyrotechnik im Stadion. Es gibt genügend Beispiele, die deutlich aufzeigen, dass dies durchaus möglich ist. Sicherlich wären wir bereit, in diesem Thema auch Kompromisse einzugehen, jedoch nur bis zu einem Gewissen Grad. Pyrotechnik ist ein legitimes Mittel der Kurve und nicht der Teufel, als den es einige Herrschaften gerne darstellen würden. Bei den meisten unserer Auswärtsspiele ist es nach Sichtweise des DFB zu »Ausschreitungen« gekommen. Ein paar Mal wurden beispielsweise die Blöcke gestürmt. Auch hier hinterfragt danach aber niemand die Handlungen. Es interessiert nicht, ob restriktive Verbote erst dazu geführt haben, sondern die Linie ist immer klar: die bösen Fans sind alles Schuld. Bei uns in Köln ist es mit zwei großen Boulevardblättern leider besonders schlimm, da diese angeblichen »Journalisten« sich schon bei den kleinsten Kleinigkeiten die Finger blutig hacken und so alles bis ins Unermessliche aufbauschen. Wir vertreten dazu auch eine klare Meinung: sicher werden wir immer versuchen unsere Anliegen »durchzudrücken«, aber auch dabei ist sinnlose Gewalt vollkommen fehl am Platze. Daneben kommen dann immer noch solche Kleinigkeiten wie »Becherwürfe« etc. dazu. Hier versuchen wir schon seit Jahren durch Selbstregulierung innerhalb der Kurve so etwas zu unterbinden. Meist klappt das auch ganz gut, aber alle hat man eben nie »unter Kontrolle«. In der abgelaufenen Saison wurde auch ein Stadionverbot an einen Besucher des VIP-Bereichs ausgesprochen, der einen Becher geworfen hatte. Die angeblichen »Probleme« gehen also nicht immer nur von uns aus. Zum Gästeverbot in Hoffenheim kam es, als der DFB über fünf Spiele des FC verhandelte, bei denen jeweils pyrotechnische Gegenstände zum Einsatz kamen. So durften wir theoretisch nicht anreisen, der FC musste Hoffenheim Schadenersatz im Wert des entsprechenden Kartenkontingents zahlen und wurde zusätzlich mit einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro belegt. Ein bescheuertes System …
Wie reagieren der Verein und die restliche Fanszene auf die Strafen? Gab es Stimmen, die von Euch forderten, auf dies oder das zu verzichten?
Die Reaktionen sind ziemlich gespalten. Es gab einige Vorfälle, die wir auch selber kritisieren und die vollkommen unnötig waren. Wir wissen doch alle, dass wir als Fußballfans in einem besonders bewachten Mikrokosmos unterwegs sind und müssen uns in manchen Situationen eben auch genau darauf einstellen. Der Verein reagiert auf etwaige Vorfälle immer ziemlich emotional und setzt sich gerne an die Speerspitze des Populismus. Dies treibt zeitweise unglaublich peinliche Blüten, für die wir uns nur schämen können. Der 1. FC Köln ist absolut darauf bedacht, sein angebliches »Saubermann Image« zu bewahren und bei jeder Gelegenheit zu betonen. Es kommt eigentlich nie vor, dass die offiziellen sich auch mal öffentlich vor ihre Fanszene stellen. Nach Außen hin wird immer schön vorverurteilt. Allerdings muss man hier der Fairness halber auch sagen, dass der Verein uns intern und unter vorgehaltener Hand ganz oft sehr wohl hilft und sich in seinen Möglichkeiten für uns einsetzt. Leider kommt das nur oft nicht bei allen an, da er eben nach Außen etwas vollkommen anderes vertritt, mit dem sich viele nur schwer anfreunden können.
Was die Aufklärungsarbeit gegen Polizeiwillkür und den Erhalt der Fanrechte betrifft, so ist die FC-Fanszene eine der aktivsten und kreativsten. Schon mehrmals gab es Demonstrationen und zahlreiche Spruchbänder rund um Eure Heimspiele. Könnt Ihr die hier geleistete Arbeit noch mal kurz zusammenfassen, welche Erfolge konnten erzielt werden und wie erreicht Ihr die Fanszene, die über den aktiven Kern hinausgeht?
In Köln wurden schon zahlreiche Aktionen zu diesem Thema durchgeführt. Alle Choreographien und Spruchbänder aufzuzählen würde hier sicherlich den Rahmen sprengen, daher werden wir nur ein paar besondere Aktionen hervorheben: Der größte Schritt war sicherlich die Gründung des Dachverbands der aktiven Fanclubs des FC Köln e.V. als Reaktion auf die angedrohten Sanktionen nach dem schon thematisierten Trommelstockwurf in Hamburg. Durch den Dachverband haben wir innerhalb der Szene eine Kommunikationsplattform geschaffen, die alles viel näher zusammengerückt und an einen Tisch gebracht hat. Dadurch konnten wir szeneintern viel erreichen und auch einige neue Fanclubs in diese integrieren. Nach außen ist der Dachverband seitdem Ansprechpartner für den Verein, sobald es um szeneübergreifende Themen geht. Wir vertreten dort nun schon über 3.000 FC-Fans und die Tendenz ist weiter steigend. Auch wickeln wir mittlerweile einige Aktionen – gerade im Antirepressionsbereich – über den Dachverband ab und äußern uns über diese Plattform zu den verschiedenen Themen. Hier stimmen sich die verschiedenen Kräfte des Dachverbands immer gut ab und so entstehen Stellungnahmen, die weitreichender greifen, als die einzelnen Stellungnahmen von uns Ultras. Sie decken ein wesentlich breiteres Meinungsbild ab und haben dadurch eine breitere Streuung innerhalb und gerade auch außerhalb der Szene. Dies ist für uns ein extrem wichtiger Schritt, um auch diejenigen zu erreichen, die nicht voll in der Szene integriert sind. Dazu gibt es innerhalb der Kurve auch drei Kurvenflyer von den drei Ultrà-Gruppen: Der Schwaadlappe der WH kommt zu jedem Heimspiel und wird in einer sehr hohen Auflage an die ganze Kurve verteilt, unregelmäßig erscheinen der »Klaaf un Tratsch« der Boyz und unser »Kallendresser kompakt«. Dazu schreiben auch alle drei Gruppen noch ihre eigenen Ultrà-Zines, in denen auf unterschiedliche Weise über unsere Anliegen berichtet wird. So unterschiedlich die Gruppen sind, so unterschiedlich ist auch die kurveninterne Medienlandschaft, was es uns ermöglicht, eine relativ heterogene Masse an Rezipienten zu erreichen. Vor der vergangenen Saison haben wir als Dachverband eine alternative Saisoneröffnung angeboten, bei der es auch viele Informationsangebote und Diskussionsrunden gegeben hat. Leider kamen nicht wirklich viele Besucher von der offiziellen Saisoneröffnung auch zu uns.
Innerhalb des Dachverbands haben wir vor kurzer Zeit einen Köln internen Fanrechtefonds mit dem Namen »Kölscher Klüngel« ins Leben gerufen. Er soll parallel zu den Stadionverbotskassen der einzelnen Gruppen und dem überregionalen Fanrechtefonds existieren und eher sozialen Charakter haben. Wir sammeln Spenden, um unberechtigt angeklagte Personen bei Rechtsstreitigkeiten finanziell zu unterstützen. Außerdem wollen wir zukünftig versuchen, auch über diesen Kanal eine offene, ehrliche und glaubhafte Berichterstattung über repressive Vorfälle zu publizieren. Eine erste Party zur Bekanntmachung des Projekts hat bereits stattgefunden, auf der auch entsprechende Solishirts verkauft wurden. Die Wilde Horde betreibt auch mehrere Projekte zum Thema Repression: Unter anderem veranstalten sie sehr erfolgreich das Konzert »Laut und live« als Soliveranstaltung für ihre Stadionverbotler. Desweiteren haben sie in der vergangenen Saison die Initative »Volkssport Fußball erhalten« gestartet (siehe: volkssport-fussball.de), zu deren Startschuss es einen Protestmarsch gegeben hat, an dem auch wir uns beteiligt haben. Einen großen Protestmarsch gab es auch in der Mitte der Saison 08/09, als ca. 1000 Leute unter dem Motto »Fc-Fans gegen Polizeiwillkür – weder Freund noch Helfer« gegen Übergriffe der Bullen demonstrierten. An diesem Tag spielten wir gegen den HSV und auch ca. 25 Hamburger der CFHH haben sich spontan dem Demozug angeschlossen, was uns sehr gefreut hat und der Sache noch eine größere Aussagekraft verliehen hat.
Neben Problemen mit Stadionverboten, gibt es seit der letzen Saison auch die sogenannten »Betretungsverbote«. Hiermit versucht die Polizei ein weiteres Geschütz aufzufahren, um Personen den Zutritt zu kompletten Stadtgebieten zu verbieten. Dies gibt es sowohl für Auswärts-, als auch für Heimspiele. Als dieses vollkommen absurde Mittel das erste Mal bei unserem Heimspiel gegen Nürnberg getestet wurde, veranstalteten wir Coloniacs eine etwas andere Art des Protests. Wir wollen auch hier versuchen, neue und kreative Wege zu beschreiten, um neue Möglichkeiten aufzuzeigen und auf verschiedene Formen Aufmerksamkeit für unsere Anliegen zu kreieren. An diesem Tag blieb der Treffpunkt der WH geschlossen und die Szene traf sich »bei den Boyz«, von wo aus wir gemeinsam gen Stadion aufbrachen. An der Grenze der Betretungsverbotszone errichteten wir einen Grenzposten in Anlehnung an den Checkpoint Charly, der unser »Checkpoint Stadion« wurde. Zwei uniformierte Mitglieder unserer Gruppe wiesen mit entsprechenden Schildern auf folgendes hin: »Achtung – Sie verlassen jetzt den rechtsstaatlichen Sektor«. An Passanten wurden Flugblätter zur Thematik verteilt und auch die Boyz wiesen hier noch mal mittels Spruchband auf die Thematik hin. Dies sind nur einige der bereits veranstalteten und szeneübergreifenden Aktionen, die exemplarisch von uns ausgesucht wurden.
Inwieweit diese wirklich Erfolge hervorgebracht haben, ist nur schwer zu beurteilen. Sicher hat es die ein oder andere Aktion in die Medien geschafft und wir konnten schon viele Personen von unseren Standpunkten überzeugen, doch ist lange noch kein Land in Sicht. Die Situation in unseren Stadien ist noch immer weit von rechtsstaatlichen Verhältnissen entfernt und unsere Idealvorstellungen von dem Ablauf eines Spieltages scheinen in extrem weite Ferne gerückt. Wir können uns also sicher nicht auf den bisher veranstalteten Dingen ausruhen, sondern müssen weiter für unsere Rechte einstehen und uns Freiräume erkämpfen! Es gibt noch viele Möglichkeiten, um unserem Protest Ausdruck zu verleihen. Nur eine Option ist dabei ausgeschlossen: »Wir labern nicht mit den Bullen!«
Wie bewertet Ihr die bundesweite Zusammenarbeit, würdet Ihr Euch mehr Absprachen und gemeinsame Aktionen wünschen?
Die bundesweite Zusammenarbeit funktioniert leider nicht so wirklich gut. Da müsste viel mehr passieren, um wirklich etwas bewegen zu können. Für uns ist es elementar wichtig, dass sich diese Zusammenarbeit in der kommenden Zeit verbessert. Für uns Ultras ist die Luft doch sehr dünn geworden. Einerseits sind in diesem Land augenscheinlich keine unangepassten Subkulturen mehr gewollt, sodass wir mit allen Mitteln bekämpft werden und andererseits verhalten wir uns teilweise sogar schon so, wie es uns immer vorgeworfen wird. Innerhalb der Ultrà-Szene fehlt es ganz klar an Selbstreflektion. Sinnlose Aktionen scheinen vielerorts in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken, was uns meilenweit zurückwirft. Fast niemand bei uns hat etwas gegen eine gepflegte »Derbyrandale« einzuwenden, aber wieso muss heute bei jedem noch so unbedeutenden Spiel immer krampfhaft etwas passieren? Das will uns nicht einleuchten. So geben wir unseren Feinden Woche für Woche Steilvorlagen für ein noch drastischeres Vorgehen, dass irgendwann schon nicht mehr als reine Repression bezeichnet werden kann. Wir haben als Ultras alle gemeinsame Feinde, die den Sport nach unseren Vorstellungen kaputt machen und in ein rein kommerzielles Event voller Überwachung ummodellieren wollen. Wir sollten lieber an dieser Front einen geschlossenen Kampf aufnehmen, als uns in Kleinkriegen selbst zu zerstören.
Wir beteiligen uns als Gruppe aktiv am Bündnis »ProFans« und würden uns hier noch mehr Mitarbeit von anderen Szenen – auch der Euren – wünschen. Einige Dinge können lokal geregelt werden, aber die grundlegenden Probleme können nur auf einer bundesweiten Ebene angeprangert werden. Selbst wenn wir uns auf diesem Feld alle zusammen tun, so wird es noch extrem schwer, sich gegen die Übermacht aus Staat, Verbänden und Medien zu behaupten. Tun wir es nicht, sind wir dem Untergang geweiht. Wir sind sehr froh darüber, dass wir bei einem bundesweiten Treffen im Sommer den Beschluss zu einer überregionalen Fandemo in Berlin fassen konnten. Wir hoffen, dort am 09.10.2010 auch viele Duisburger anzutreffen, denn diese Problematik geht uns alle etwas an und wir werden nur gemeinsam etwas bewegen können. Wir würden uns wünschen, dass man mancherorts etwas von seinen persönlichen Eitelkeiten zurücktritt und einen Schritt in die Mitte macht. Niemand wünscht sich die Zeit zurück, in der alle gemeinsam am Spieltag Collagen getauscht haben, aber zumindest die führenden Kräfte der Gruppen sollten sich im Bezug auf das Themenfeld »Repressionsarbeit« vernetzen und austauschen. Viel öfter müssten Szenen mit einem neutralen Verhältnis am Spieltag zusammen Aktionen organisieren, die auf unsere Belange hinweisen. Wir denken, dass dies einen viel größeren Effekt haben würde, als all die einzeln ausgefochtenen Kämpfe.
Der Einsatz von Pyrotechnik beim Spiel in Leverkusen führte dann zum Gästefanverbot in Hoffenheim. Wie reagierte die Fanszene, waren die Ultras jetzt der Sündenbock?
Es gibt – wie wohl überall – hier bei uns in Köln zwei parallel existierende Fanszenen. Die Szene der »Allesfahrer« und Leute, die sich aktiv einbringen und zusammen für die Kurve arbeiten und die etwas unorganisiertere Szene, die eher einen passiven Charakter hat. An dem Einsatz von Pyrotechnik in Leverkusen waren viele verschiedene Leute beteiligt und so war dies eigentlich kein Problem. Wir alle stellen uns den Einsatz von Pyro so vor, wie er zu Spielbeginn von statten gegangen ist. Da saßen die Leute sogar mit den Fackeln in der Hand auf dem Zaun und alles lief wunderbar ab. Problematisch wurde es erst im weiteren Verlauf des Spiels, als auch in anderen Teilen des Stadions immer wieder gezündet wurde und eine Fackel auf einen zum Eckball antretenden Spieler geworfen wurde. Leider ließ sich auch intern nicht herausfinden, wer dies gewesen ist, doch die Person hätte eine gehörige Tracht Prügel verdient, erwies sie uns doch damit einen unglaublichen Bärendienst und beraubte uns vieler Argumente. Der passivere Teil der FC-Fans ist beim Thema Pyro ziemlich zwiegespalten. Im Stadion jubeln immer alle und erfreuen sich an den Freudenfeuern, doch später im Internet beschwören sie dann wieder die absurdesten Randaletheorien hervor. Da »die« Ultras aber in der letzen Zeit vielerorts in die Kritik geraten sind – oft ja auch nicht ganz zu Unrecht – ist dieser Kelch auch an uns nicht vorbeigegangen. Das Fanprojekt des 1. FC Köln hat eine öffentlichkeitswirksame »Bekenneraktion« gegen Gewalt, Ausschreitungen und das Zünden von Pyrotechnik ins Leben gerufen. Zwar finden wir gut, wenn sich Leute Gedanken machen und öffentlich zu Themen äußern, doch wird hier schon wieder der Gebrauch von Pyrotechnik und Gewalt vermischt, obwohl beide Dinge doch vollkommen getrennt voneinander zu behandeln sind. Leider scheint ein Dialog nur am Rande gewünscht zu sein und man zeigt lieber mit dem Finger auf andere, anstatt sich mit den wirklichen »Problemfällen« und deren Beweggründen auseinanderzusetzen. Dies wirft für uns kein gutes Licht auf ein Projekt, welches sich eigentlich MIT den Fans beschäftigen sollte.
Macht es in der heutigen Zeit, in der ich mir auch aus Australien übers Internet mein Bundesligaticket bestellen kann, überhaupt Sinn (aus DFB Sicht, versteht sich)? Eigentlich alle Fanszenen die in der Rückrunde von dieser Strafe betroffen waren, waren trotzdem bei den Gastspielen ihrer Mannschaft vertreten (Köln in Hoffenheim, Rostock in Ingolstadt, Dresden in Unterhaching). Wie wurdet Ihr in Hoffenheim von Seiten der Polizei und der Ordner empfangen? War es überhaupt schwer, bis ins Stadion vorzudringen? Konntet Ihr Euch erst im Block als FC-Fans zu erkennen geben oder seid Ihr wie zu jedem anderen Auswärtsspiel in Köln losgefahren?
Solche Verbote sind vollkommen sinnlos. Sie schüren lediglich weiter den Hass auf dieses System, als dass sie zu einer Entspannung der Lage beitragen würden. Gerade unser Auftritt in Hoffenheim hat gezeigt, dass sich unsere Leidenschaft nicht verbieten lässt. Trotz einer Schließung des Gästeblocks waren alle Gruppen und viele Einzelpersonen im Stadion zugegen und selbst einige Stadionverbotler haben den Weg nach Sinnsheim auf sich genommen, um gegen diese wahnwitzigen Verbote zu demonstrieren. Es waren nicht prinzipiell Gästefans verboten, sondern lediglich der Gästeblock war geschlossen. Da das Stadion jedoch bei Bekanntgabe der Strafe schon »ausverschenkt« war, stellte uns dies vor eine logistische Herausforderung, die aber über den Dachverband sehr gut gelöst werden konnte. In Köln fuhren fast alle erst mal in zivil los und teilweise wurde unterwegs auch noch auf andere Verkehrsmittel umgestiegen, um nicht direkt schon aufzufallen. Niemand wusste ja, was uns wirklich erwarten würde. Es wurden wohl auch ein paar Autos wieder zum Umdrehen angehalten, aber fast alle schafften es dann auch problemlos ins Stadioninnere. Ebenso konnten alle Banner, Spruchbänder und auch unsere »Pyrotechnik ist kein Verbrechen«-Fahne die Kontrollen ungesehen überwinden.
Trotzdem sicherlich keine ganz alltägliche Situation, wie wäre das Ganze im Stadion abgelaufen, wenn Ihr jetzt nicht ausgerechnet in Hoffenheim gespielt hättet sondern auf eine gegnerische, vielleicht sogar rivalisierende, Fanszene getroffen wärt?
Da bin ich mir nicht so ganz sicher. Das Verhältnis von Köln und Hoffenheim ist sicherlich als angespannt zu bezeichnen, denn wir geben ihnen regelmäßig klar und deutlich zu verstehen, was wir von ihnen und ihrem Gönner halten. Nach dem Spiel kamen so doch auch ernsthaft ein paar Gestalten auf uns zu, die sich von uns auch nonverbal verabschieden wollten. Wie es jedoch bei einem richtigen Gegner geworden wäre, vermögen wir kaum zu sagen. Ein ehrenvoller Gegner hätte an diesem Tag wohl ein Auge zugedrückt, wenn wir uns auch neben dem Gästeblock breit gemacht hätten. Gerade bei unseren Derbys ist dies auch so schon oft der Fall, da zu diesen Spielen doch immer mehr Kölner anreisen, als es eigentlich Karten geben würde. Ein unehrenhafter Gegner hätte wohl Störfeuer entzündet und sich gegen den Protest gewandt. Ziemlich schwierig zu beurteilen… Mit Hoffenheim haben wir da sicher noch ein relativ »einfaches« Spiel für ein solches Unterfangen abbekommen.
Und dann ist da noch das Bild mit Podolski und der »Pyrotechnik ist kein Verbrechen« Fahne nach dem Spiel. Wusste er, was auf der Fahne steht und hat diese bewusst geschwenkt?
Dies ist eine Fahne unserer Gruppe, die wir bei dem Spiel ins Stadion geschmuggelt haben. Lukas hat die Fahne nach dem Spiel an sich genommen. Im ersten Moment wusste er sicher nicht genau, welche Bewandtnis diese hat und wollte einfach »nur« eine Fahne aus der Kurve schwenken. Dies hat er schon oft gemacht. Er ist der Fanszene gegenüber doch relativ offen. Für uns war das natürlich eine super Aktion, da so noch mehr Aufmerksamkeit auf dieses Thema gelegt werden konnte. Besonders wichtig, gerade bei einem Spiel ohne Gästefans und der damit weiterschreitenden Kriminalisierung von Pyrotechnik.
In Frankreich sind jetzt verschiedene Fangruppen vom Staat offiziell verboten worden. Auch die Fanszene Eurer Pariser Freunde war davon betroffen. Könnt Ihr uns ein paar Eindrücke über die Repressionen im Nachbarland geben und wie gehen die Fans damit um?
Das ist eine extrem schwierige und komplexe Situation bei unseren Freunden. Um das Thema halbwegs verständlich darstellen zu können, müssten wir mehrere Seiten füllen. Dennoch werden wir versuchen, die Frage möglichst knapp und präzise zu beantworten. Angefangen hat die »Verbotswelle« mit dem Verbot der Boulogne Boys 1985 im April 2008, nachdem sie beim Pokalfinale gegen Lens ein Spruchband präsentiert haben, welches später von der Öffentlichkeit als rassistisch eingestuft wurde. Im gleichen Atemzug wurde auch die »Faction Metz« wegen wiederholter Ausschreitungen durch das Innenministerium verboten. In Frankreich sind alle Gruppen nach einem etwas anderen Prinzip aufgebaut als bei uns in Deutschland. Sie haben alle eine Rechtsform, die mit unserem e.V. vergleichbar ist. Daher sind sie und die eingetragenen Führungsleute eher habhaft zu machen. Dies bietet auch die Grundlage für die nun weiter voranschreitenden Verbotsverfahren. Diesen Sommer wurden nun unglaublicherweise sieben Ultrasgruppen vom französischen Innenministerium verboten. Der Auslöser war ein tragischer Vorfall beim Spiel PSG-OM, dessen Aufarbeitung hier den Rahmen sprengen würde. Auf unserer Homepage gibt es eine Stellungnahme zu diesem Thema. Wer sich also für etwas genauere Hintergründe interessiert, sei darauf verwiesen. Bei den nun verbotenen Gruppen handelt es sich um unsere Freunde Supras Auteuil, Authentiks und Grinta, sowie zwei Gruppen des Kop of Boulogne von Paris Saint-Germain. Darüber hinaus wurden noch die Brigade Sud vom OGC Nice und Cosa Nostra von Olympique Lyon aufgelöst. Ein Verbot kommt dem – zumindest offiziellen – Ende der Gruppen gleich. Das öffentliche Zurschaustellen deren Logos und Namen steht unter Strafe und die dort vertretenen Personen dürfen keine neuen Gruppen in ähnlicher Konstellation bilden. Die gesetzliche Grundlage des Verbots richtet sich gegen kriminelle und terroristische Vereinigungen und ist rechtlich daher kein Kinderspiel mehr. Für unsere Freunde kann ein Nichteinhalten gravierende persönliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Darüber hinaus hat auch der PSG noch eine ganze Reihe von »Neuerungen« zur Gewaltprävention eingeführt. So wurden die 13.000 Dauerkarten gekündigt und nicht mehr ausgegeben. Gleichzeitig werden die Preise drastisch erhöht, sodass die billigste Karte nun 25€ kostet. Zur Verhinderung von »Blockbildung« werden die Plätze auf den Eintrittskarten bunt gemischt und zusammengewürfelt. Die Gruppen mussten ihre Lager im Stadion räumen, alle Graffitis in den Eingangsbereichen wurden bereits überstrichen und nun sollen Familien angelockt werden. Unsere Freunde reagieren momentan extern überhaupt nicht mehr. Nach dem Verbot strebten sie ein Revisionsverfahren an, gaben Pressekonferenzen, stürmten eine Veranstaltung zur EM in Frankreich und arbeiteten die Geschehnisse öffentlichkeitswirksam auf. Zum Pokalfinale mobilisierte man auch noch mal einen geschlossenen MOB ins Stade de France. Da die Revision nun aber abgelehnt wurde und die Gruppen verboten bleiben, bleiben die Plätze im Stadion auch erstmal leer. Hinter den Kulissen wird nun an Möglichkeiten gearbeitet. Zum ersten Saisonspiel gab es rund um den Parc eine Demonstration von Leuten des KOB und vielen Kutten gegen die neuen Regelungen, bei der 246 Leute verhaftet wurden. Momentan ist es um die Fankultur in Frankreich leider wirklich extrem schlecht gestellt. In Nizza wurden nach Bekanntgabe des Verbots der BSN am Spieltag die Eingänge gestürmt und fortwährend Lieder über die Brigade Sud gesungen. Momentan vergibt die Polizei in Paris auch relativ leicht und schnell administrative Stadionverbote. So bekamen viele der Führungsleute der VAG (Virage Auteuil und Tribune G) am Abend vor dem Pokalfinale Vorladungen zur Polizei und dann auf der Wache ihre Stadionverbote für den nächsten Tag, plus lokale Aufenthaltsverbote. Stadionverbotler müssen sich generell während der Spiele bei den Wachen in ihren Vierteln melden und können so auch weder mitreisen, noch die Spiele wirklich gemeinsam verfolgen. Das Innenministerium und seine Handlanger hören nun die Telefone ab, verfolgen die Leute, kommen zu ihnen nach Hause und beschlagnahmen Computer, Fotoapparate etc. Gegen die Ultras wird dort nun vorgegangen wie gegen Terroristen. Von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hat man sich in unserem Nachbarland leider verabschiedet …
Die Schraube dreht sich immer schneller, ständige Überwachung durch Staatsdiener, willkürliche Verbote, personalisierte Tickets, gesperrte Fanblöcke. Wie weit werdet Ihr den Weg noch mitgehen, wann kommt der große Knall quer durch die Fanblöcke?
Das ist eine extrem schwierige Frage. Natürlich müssen wir als Ultras darüber diskutieren, wie weit wir gehen wollen und ob wir nicht längst ein großer Teil des eventisierten neuen Fußballs sind. Wir liefern farbenfrohe Bilder und versuchen die Kurven zu animieren Stimmung zu machen, was wiederum durch die Marketingabteilungen der Vereine und Verbände geschickt instrumentalisiert und vermarktet wird. Hier stecken wir für uns als Gruppe in einer bereits ausgemachten Zwickmühle. Wie weit wir dabei gehen können, ist uns bis jetzt noch nicht bewusst. Noch sind wir bereit, den Kampf um unsere Freiheiten und unsere idealistischen Vorstellungen von Fankultur zu führen und sehen ihn nicht als aussichtslos an. Sollte irgendwann der Tag gekommen sein, an dem wir in unseren Bestrebungen absolut keine Chancen mehr sehen und eine weitere Unterstützung unserer Mannschaft in dieser Form einem Verkauf unserer Werte gleichkäme, wäre auf jeden Fall der Punkt gekommen, um die Segel zu streichen. Aufgeben wird es zwar nie geben und wir werden bis zum bitteren Ende versuchen, unsere Vorstellungen mit der Realität in Einklang zu bringen, aber wir können nicht ausschließen, dass entweder irgendwann der Kampf endgültig verloren ist oder wir uns in anderen Formen neu strukturieren und aufstellen müssen. So weit scheint dies nicht entfernt zu sein, wenn wir nur nach Frankreich oder Italien schauen, wo ganze Gruppen verboten werden, oder einem durch die Tessera del Tifoso unakzeptable Zustände vorgesetzt werden. Ob es zu einem wirklich großen »Knall« kommen wird, wagen wir doch zu bezweifeln. Wir leben in Deutschland und unsere Bevölkerung scheint heute extrem satt und gelangweilt zu sein. Jeder ist ausschließlich nur noch auf den persönlichen Vorteil bedacht und die Probleme anderer rücken vollkommen in den Hintergrund, solange man nicht selbst davon betroffen ist. Diese grundsätzliche gesellschaftliche Haltung überträgt sich natürlich auch auf die Kurven und die sich darin befindenden Individuen. Viele Kurvengänger interessieren sich einfach nicht für Fanpolitik und wollen ausschließlich bespaßt werden.
Auf der anderen Seite sieht man schon eine Radikalisierung in manchen Formen. Ich ertappe mich schon manchmal selbst dabei, dass ich mich freue, wenn ein Polizist wieder einen Jugendlichen grundlos schlägt oder einfach »nur« schlecht behandelt. Ich habe mich sogar schon bei Beamten dafür bedankt, dass sie jedes Wochenende weitere Leute in unsere Arme treiben und sie davon überzeugen, dass in unserem Land einige Dinge vollkommen verkehrt laufen.
Dann danken wir Euch recht herzlich für das Interview und wünschen Euch und allen anderen Fans viel Kraft im Kampf für die Fankultur!