Bundestagswahl 2013 – Jusos
TV-Duell um TV-Duell, Politdebatte um Politdebatte. Keiner stellt die Fragen, die uns als Fußballfans wirklich interessieren? Wir haben es getan und die Jugendorganisationen der fünf Parteien befragt, die zurzeit im deutschen Bundestag vertreten sind. Die Antworten findet Ihr Woche für Woche bis zur Bundestagswahl hier. Los geht’s mit den Jusos.
Coloniacs: In Ägypten, in der Türkei und auch in Deutschland hat sich gezeigt, dass Ultras nicht nur Krawallmacher sondern in hohem Maße auch politisierte und politisierende Menschen sind. Wie sehen Sie Ultras im Zusammenhang mit diesen „Freiheitskämpfen“? Welchen Beitrag leisten Ultras Ihrer Meinung nach zu unserer Gesellschaft?
Jusos: Die Ultras bieten eine kommerzialisierungskritische und kollektiv-selbstorganisierte Jugend- bzw. Subkultur im Fußball. Für uns sind darin emanzipatorische Werte angelegt, die aber von unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich stark genutzt werden. Ob die Ultras in Deutschland die gesamtgesellschaftliche Rolle derjenigen in der Türkei und in Ägypten einnehmen könnten ist schwer einzuschätzen, da sich die Situation kaum vergleichen lässt. Außerdem sind Ultra-Gruppierungen nicht einheitlich organisiert, sodass es schwierig ist, allgemeine Prognosen über „die Ultras“ anzustellen. So sind z.B. viele, aber eben nicht alle Ultra-Gruppen politisch interessiert oder aktiv.
Coloniacs: Erkennen Sie aus Ihrer Perspektive zentrale Werte, die die Ultrakultur vertritt? Wenn ja, welche sind das?
Jusos: Traditionspflege, Kommerzkritik, Ehrenamtliches Engagement, zum Teil auch (alltags)politische Reflexion über das Gesellschaftsfeld Fußball.
Coloniacs: Es ist Spieltag, der FC tritt in Hamburg an! Eigentlich eine gute Gelegenheit eine der schönsten Städte Deutschlands zu erkunden, wäre man nicht zahlreichen Repressalien ausgesetzt. Es ist fast unmöglich sich frei zu bewegen, ohne handfeste Konflikte mit der Polizei auszulösen. Sind diese Einschränkungen für Sie akzeptabel? Wie sind diese zu rechtfertigen? Werden durch solche Maßnahmen nicht tausende Fußballfans unter einen Generalverdacht gestellt?
Jusos: Die von Ihnen beschriebenen Einschränkungen sind inakzeptabel. Sie widersprechen sowohl den geltenden Prinzipien der polizeilichen Prävention als auch der strafrechtlichen Repression. Denn abgestellt wird nicht auf eine konkrete Gefahr oder einen konkreten Tatverdacht, sondern auf eine, in der Regel nicht näher spezifizierte „Gewaltprognose“. Fußballfans sind keine VerbrecherInnen. Dennoch werden die Repressionen in völlig inakzeptabler Weise auf alle ausgedehnt. Akzeptabel ist für uns lediglich ein gezieltes Vorgehen gegen diejenigen, die möglicherweise Straftaten begehen, wobei dies eher Einzelfälle sein dürften. Alle Eingriffe von Sicherheitsbehörden haben nach Recht und Gesetz zu erfolgen.
Coloniacs: Dass die Polizei nicht gerade zimperlich beim Durchsetzen ihrer Interessen (oder der Interessen der Politik) ist, haben Stuttgart 21 und die Blockupy Proteste gezeigt. Für uns als Fußballfans gehört der Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken durch die Polizei zum Standardrepertoire bei vielen Auswärtsspielen. Wann kommt die bundesweite Kennzeichnungspflicht für Polizisten? Setzen Sie sich dafür ein? Warum / Warum nicht?
Jusos: Die Jusos setzen sich seit Jahren für die Kennzeichnungspflicht von PolizistInnen im Einsatz ein. Wir sind in dieser Frage zweifelsohne die aktivste Triebkraft in der SPD. Der Grund für diesen Einsatz ist, dass wir denken, dass sich die übergroße Mehrheit der PolizistInnen auch unter Stress an die Vorschriften hält, es aber regelmäßig unverhältnismäßige Einsätze auf Demonstration und auch im Umfeld von Sportereignissen gibt. Wir denken, dass die Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat keinen Grund hat anonym zu sein. Eine Kennzeichnungspflicht hilft allen. Dabei gilt es, Druck auf die jeweiligen Landesregierungen auszuüben, da diese für die Kennzeichnung der Polizei zuständig sind. Auf Initiative der Jusos ist es so z.B. in Berlin bereits gelungen, eine Kennzeichnungspflicht durchzusetzen.
Coloniacs: Zusätzlich wird immer wieder die Forderung nach einer finanziellen Beteiligung der Vereine an den Einsatzkosten laut. Ist das mit gültigem Deutschen Recht vereinbar? Besteht die Notwendigkeit einer solchen Beteiligung?
Jusos: Die Garantie der öffentlichen Sicherheit ist eine hoheitliche Aufgabe. Sie hat durch den Staat zu erfolgen. Eine Beteiligung Privater darf nicht Voraussetzung für die Garantie der öffentlichen Sicherheit sein. Eine Kostenerstattung Privater ist für uns dann gerechtfertigt, wenn der Einsatz der Polizei wegen einer bestehenden Gefahr tatsächlich notwendig war und diese Gefahr schuldhaft (!) von einem Privaten verursacht wurde. Diese Voraussetzungen werden bei Einsätzen der Polizei bei Fußballspielen indes selten gegeben sein, insb. wird wohl der Verein nicht Verursacher der Gefahr sein. Deshalb ist die politische Diskussion darüber größtenteils unsachlich. Ausgeblendet wird, dass es auch zahlreiche andere Großeinsätze der Polizei gibt, die Kosten für den Staat verursachen. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass ein Fußballspiel auch umfangreiche Steuereinnahmen generiert. Vereine finanzieren die Polizei daher ohnehin mit.
Coloniacs: Die Stadionverbotsproblematik wurde aus rechtlicher Perspektive bereits ausreichend beleuchtet. Grundsätzlich stellt sich jedoch die Frage, ob Stadionverbote ein probates Mittel zur Problemlösung sind. Unsere These: Stadionverbote verlagern die Probleme lediglich vor die Tore der Stadien. Wie stehen Sie dazu? Welche Alternativen sehen Sie zu Stadionverboten? In welcher Form setzen Sie sich für eine Durchsetzung solcher alternativer Wege ein?
Jusos: Grundsätzlich sind Stadionverbote privatrechtliche Auflagen, die aber Konsequenzen für die öffentliche Sicherheit haben. Wie auch bei Überwachungsmaßnahmen gibt es natürlich Ausweicheffekte. Besonders Gruppenstrafen ohne Nachweis individueller Täterschaft sind problematisch. Tatsächlich gibt es aber auch Fangruppen, die regelmäßig rassistische, antisemitische oder homophobe Anfeindungen als wesentliche Kerninhalte transportieren. Vereine müssen das Recht haben, sich von diesen zu distanzieren. Wir würden eine klarere allgemeine Regeln des Komplexes Stadionverbote befürworten. Dabei wären freiwillig einzuhaltende Standards vermutlich der beste Weg, da es schwierig sein dürfte, den Vereinen die Ausübung ihres Hausrechts im Wege des „Stadionverbots“ zu verbieten.
Coloniacs: Mehrere Medien berichteten in der Vergangenheit über V-Männer in der Fußballfanszene. Unserer Ansicht nach eine total überzogene und äußerst diskussionswürdige Maßnahme. Benötigen wir V-Männer Ihrer Meinung nach in der Fußballfanszene? Warum / Warum nicht? Stellt der Verfassungsschutz einen Teil von Fußballfans mit solch einer Handlung auf eine Stufe mit Hells Angels und NSU? Haben sich V-Leute nicht bereits mehrfach als ungeeignet erwiesen? Wie stehen Sie zu einer generellen Abschaffung von V-Leuten?
Jusos: Wir lehnen den Einsatz von V-Leuten generell ab und fordern ihre Abschaffung.
Coloniacs: Sie sprechen sich für / gegen die finanzielle Förderung von sozialpädagogischen Fanprojekten aus? Warum?
Jusos: Wir sind grundsätzlich dafür. Prävention geht vor Repression. Wichtig ist die sorgfältige Auswahl der Träger. Die Länder dürfen sich nicht aus der Finanzierungsverantwortung stehlen, wie es in einzelnen konservativ regierten Bundesländern der Fall ist.
Coloniacs: In einer großangelegten Kampagne, „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ haben sich deutschlandweit Fußballfans für ein kontrolliertes Abbrennen von Pyrotechnik eingesetzt und eine nicht erahnte Dialogbereitschaft gezeigt. Welche Meinung vertreten Sie zum kontrollierten Abbrennen von Pyrotechnik in deutschen Fankurven?
Jusos: Unser Bundesverband hat dazu keine Beschlusslage. Allerdings sehen wir den sog. „Dialog“ seitens DFB/DFL, den es vor einiger Zeit gegeben hat und der sich dann als reine Dialogsimulation herausgestellt hat, sehr kritisch und glauben, dass dies die schlechteste Möglichkeit war, mit dem Thema umzugehen.
Coloniacs: Fanbündnisse wie ProFans, Fanmedia und BAFF erregen selten bundesweite Aufmerksamkeit. Bei anderen Interessenverbänden ist das offensichtlich anders. Woran liegt das? Wie stehen Sie grundsätzlich zur Arbeit von Fanbündnissen?
Jusos: Wir begrüßen es, wenn Fanbündnisse die politischen Interessen von Fußballfans bündeln und als Verhandlungspartner auftreten. Je mehr Fans sie tatsächlich vertreten, desto besser. Generell haben Interessenverbände, die finanzstärker sind und klar abgeschlossene Gruppen vertreten, es leichter ihren Interessen Gehör zu verschaffen. Das hat strukturelle Ursachen. So ist es zum Beispiel Verbänden, die einmal einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht haben, in der Zukunft viel leichter, sich Gehör zu verschaffen als unbekannten Verbänden. Eine aktive Pressearbeit gerade der kleineren Verbände benötigt deshalb spektakuläre und öffentlichkeitswirksame Aktionen. Dass das gelingen kann, hat zum Beispiel die Aktion 12:12 gezeigt.
Coloniacs: Zum Abschluss ein paar Fragen/Aussagen, die sich in Kurzform beantworten/ergänzen lassen:
- Hat der Fußball ein Gewaltproblem?
Psychische und physische Gewalt sind in von Ungleichheit geprägten Gesellschaften immer gegenwärtig. Der Fußball bietet sicher einen Resonanzraum für Gewalt, aber ist nicht ursächlich dafür. Für ZuschauerInnen ist der Fußball in Deutschland insgesamt außerordentlich sicher.
- Fankultur ist für uns schützenswert weil,…
… Fußball mehr ist als Kommerz und Unterhaltung
- Ultras sind wichtiger Bestandteil einer intakten Gesellschaft und Fankultur weil,…
… sie die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs ernst nehmen und bearbeiten.
- Bietet Deutschland momentan ausreichend Freiraum zur Entfaltung von Subkulturen?
Nein.
- Subkulturen sind wichtig, weil…
… sie Selbstbestimmung und kulturelle Erfahrungen abseits von kommerzialisierten Umgebungen ermöglichen.